Text von Bernhard Heidkamp
John Williams – Close Encounters of the Third Kind
Da-Di-Da-De-Dooooo
Oder so in etwa. Diese 5 Töne sind jedenfalls seit über 40 Jahren nicht mehr wegzudenken, wenn es um Kontakt mit außerirdischen Lebensformen geht. Bis heute, wird diese Melodie immer noch parodiert (wie im Animationsfilm MONSTERS VS ALIENS von 2009) oder aufgegriffen, weswegen ich an dieser Stelle erwähnen sollte, dass ich CLOSE ENCOUNTERS OF A THIRD
KIND, wo sie bekannterweise herkommt, bis jetzt nicht gesehen hatte. Aus irgendeinem Grund, war dieser Film eine große Lücke in meiner Filmographie, womit sich der heutige Thementag perfekt
anbot, ebendiese zu schließen. Bis dato kannte ich nicht mehr, als eine 8 Minuten lange Suite aus einer „Best of John Williams“-Box, die sich voll und ganz auf die musikalische Begrüßungsformel stützt.
Umso verwunderter war ich dann, als diese Tonfolge im tatsächlichen Film ziemlich lange auf sich warten ließ. Sie ist nicht, wie man etwa durch das popkulturelle Vermächtnis des Films oder Williams' Konzertauftritten vermuten könnte, das „Main Theme“ des Films. Die meiste Zeit taucht
sie, wenn überhaupt, nur in Form von „Source Music“ auf, also Musik, die in der Handlung des Films vorkommt. Etwa als die Menschenmenge in Indien diese Töne singen, oder Lacombe sie als Kommunikationsmöglichkeit präsentiert. Der eigentliche Score des Films zeigt sich größtenteils
viel subtiler und atonaler und konzentriert sich auf die potentielle Bedrohung, die die außerirdischen darstellen, sowie die rätselhaften Ereignisse der ersten Filmhälfte. Es handelt sich dabei nicht um
einen Horror-Soundtrack oder dergleichen, aber die ausufernde Melodik die man zu der Zeit aus anderen Williams-Werken wie STAR WARS und SUPERMAN kennt, findet sich hier nicht. Statt eingängige Themen gibt es sehr viel Spannung. Der Vorspann alleine sorgt schon für ein gewisses
Unwohlsein und etwas Gänsehaut. Auch wenn diese Passagen nicht unbedingt ins Ohr gehen und jedem Zuhörer gefallen sollten, sind sie aber dennoch meisterhaft geschrieben. Viele Komponisten hätten einfach nur ein paar Dissonanzen aufs Papier gedonnert, ein paar schrille Streicher darüber
gestreut und wären dann in den Feierabend gegangen, doch Williams lässt seine Grusel-Passagen gekonnt durchs Orchester reichen.
Das Highlight dieser Tracks dürfte wohl „Barry's Kidnapping“ sein, eine Szene die mir schon ziemlich Angst gemacht hat. Die erwähnten dissonanten und schrillen Streicher finden hier zwar
Verwendung, doch spickt Williams das noch mit atonalen Blechfiguren und setzt dem Ganzen mit einem schaurigen Chor das Krönchen auf. Hier kommt der Soundtrack einem Horror-Film doch schon recht nahe.
Auch wenn es, wie schon erwähnt, kein wirkliches Titelthema gibt, findet sich aber ein kleines Motiv, dass noch am ehesten als eines gelten könnte: „False Alarm“ stellt uns eine 4-Noten-Folge vor, die sich konsequent durch den zweiten Akt des Films zieht und dabei nahezu identisch zu dem
gregorianischen Chorals „dies irae“ ist. Diese Tonfolge findet sich in vielen Soundtracks, wann immer es um Tod oder andere gruselige und düstere Dinge geht und wird in den entsprechenden Analysen von vielen Experten als Referenz angeführt und als direkte Anspielung der Komponisten
gelesen. Inwiefern diese Filmkomponisten nun wirklich aktiv dieses spezielle Stück referieren, oder ob es sich nur um eine Art Konvention handelt, da diese Tonfolge sehr bedrohlich klingt, kann ich
nicht sagen, doch fand ich es faszinierend, sie auch in diesem Score zu finden. Es gibt viele Artikel und Videos zur Verwendung von „dies irae“ in der Filmmusik und CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND wurde meines Wissens nie damit in Verbindung gebracht, obwohl diese Melodie so zentral und vordergründig zu hören ist.
Unabhängig davon, variiert Williams dieses Thema aber kontinuierlich. Eine klare Bedeutung scheint es auch nicht zu haben, wird aber stark mit der Obsession des Titelcharakters Roy mit dem „Devil's Tower“ in Verbindung gebracht. In „Forming The Mountain“ beispielsweise wird es nach
ca 40 Sekunden auf deb Fagotten gespielt, als Roy verzweifelt versucht, das Landzeichen zuhause nachzubilden. Je näher er seinem Ziel kommt, desto prominenter kommt dann noch ein bunmelodiöser, aber majestätischer Chor dazu, der dann in der Fortführung der Sequenz „TV Reveals“ den Höhepunkt erreicht, bis dann das „dies irae“-Motiv wieder Überhand nimmt um dann zum Ende von „Roy and Gillian on the Road“ beinahe heroisch zu klingen. Die wirklich schönen Stellen finden sich dann erst zum Ende des Films, dem legendären Finale das sich ganz um die Kommunikation mit den Raumschiffen dreht. „Lightshow“ stößt das ganze gut an, dann übernehmen mit „Barnstorming“ und „The Mothership“ noch einmal kurz die
Spannungselemente, bis alles in dem ikonischen „Wild Signals“ mündet: Aus dem weltbekannten Begrüßungs-Motiv entwickelt sich eine scheinbar chaotische aber dennoch klar strukturierte Symphonie in der kurze Stakkato-Motive durch nahezu sämtliche erdenkliche Blasinstrumente
gegeben werden. Hier dann auch die amüsante Anekdote, dass in die 5-Ton-Folge zwar unheimlich viel Zeit investiert wurde, sich dann aber dennoch nur für „irgendeine“ entschieden wurde:
Williams wurde schon früh mit der Komposition der Begrüßungsformel beauftragt und wollte 7 bis 8 Noten verwenden, doch Spielberg hielt 5 für sinnvoller, da Begrüßungen kurz und prägnant sein
sollten. Es wurde viel experimentiert und angeblich um die 300 verschiedene Melodien ausprobiert, bis Spielberg sich wohl am Ende aus Frust einfach eine herauspickte. Zwischendurch stand sogar
zur Debatte den Song „When You Wish Upon A Star“ aus PINOCCHIO zu verwenden, was aber verworfen wurde. Das Lied sollte dann aber zumindest im Abspann gespielt werden, doch als das Publikum bei Testvorführungen zu lachen anfing sobald die Credits über die Leinwand rollten, wurde das gestrichen.
Williams verwendet dennoch Fragmente der Melodie in „The Returnees“ und besonders prominent im Abspann der Special Edition, der in dem über 12 Minuten langem Schlusstitel „The Visitors/Bye/End Titles: The Special Edition“ enthalten ist, welcher zusammen mit „Wild Signals“ definitiv das Juwel des Soundtracks darstellt, der eine komplexe Veröffentlichungsgeschichte hinter sich hat. Erst Ende der 80er wurden die ersten Platten und CDs von Arista und Varèse Sarabander aufgelegt, die gerade mal 40-55 Minuten abdeckten und unter anderem einen ebenso
unterhaltsamen wie grauenhaften Disco-Remix der Begrüßungsformel enthalten. Ende der 90er gab es dann von Arista ein fast 80 Minuten langes Album, welches für diesen Text als Referenz diente.
Wie üblich findet sich aber die ergiebigste Veröffentlichung bei La-La Land: Auf 2 CDs verteilt bekommt man den kompletten Score sowie diverse Alternativfassungen präsentiert. Inwiefern man dies alles braucht, muss jeder für sich selber wissen. Es handelt sich definitiv um einen überragenden Soundtrack, doch kann er als Hörerlebnis schnell repetitiv werden und gerade die Suspense-Passagen der ersten Filmhälfte können trotz ihrer Raffinesse anstrengend werden, wenn man eigentlich nur auf erhebende Schlusssequenz wartet.