Mick Garris) Ich bin erstaunt, dass irgendjemand, ob in Deutschland oder anderswo, eine Vorliebe für QUICKSILVER HIGHWAY hat. Denn die wenigsten Menschen hier kennen den Film. Aber danke! Ich bin etwas spät in die Film- und Fernsehbranche eingestiegen. Ich wurde mit 33 Jahren für AMAZING STORIES engagiert. Davor habe ich mit 12 Jahren angefangen Belletristik zu schreiben, mit 16 Jahren Musik- und Filmkritiken und Interviews für Untergrundzeitungen geschrieben und als Teenager Leute wie Rod Serling, Janis Joplin und Jimmy Hendrix interviewt. Ich habe in Plattenläden gearbeitet und war Singer-Songwriter in einer originellen Progressive-Rock-Band namens HORSEFEATHERS. Unser erstes Album kam letztes Jahr heraus, 50 Jahre nach unserer Gründung.

 

Und ich liebe einfach Filme. Das habe ich schon immer getan. Und das Genre hat immer eine starke Anziehungskraft auf mich ausgeübt, seit ich ein Kind im einstelligen Alter war. Das Regieführen, Schreiben und Produzieren hat mich gewählt. Ich hatte großes Glück, dass ich meinen Traum vom Filmemachen verfolgen konnte, obwohl ich nie wusste, dass das überhaupt eine Möglichkeit für mich war.

 

SFF) Haben sie aus dieser Zeit viel für ihre zukünftige Leidenschaft mitgenommen?

 

M.G.) Es war eine großartige Grundlage um herauszufinden wie verschiedene Schöpfer, die ich bewunderte, arbeiteten. Ich habe gelernt, dass jeder seine Kunst auf eine andere Art und Weise angeht, und die besten von ihnen, ob sie nun Musik oder Filme machen, haben einen unabhängigen Geist und eine Art die Welt ein wenig anders zu sehen als die Masse. Die besten von ihnen haben eine einzigartige künstlerische Stimme entwickelt.

 

SFF) Es scheint, dass Sie damals schon ein Multitalent waren, wie z.B. Sänger der Band HORSEFEATHERS. Ich muss gestehen, dass ich diese Band überhaupt nicht kenne. Das muss ich unbedingt nachholen. Wie sind Sie damals vom Sänger zum Filmemacher geworden?

 

M.G.) Wir gründeten uns 1970 und verfolgten einen Weg, der uns zwar nicht den Lebensunterhalt sicherte, uns aber 7 oder 8 Jahre lang kreativen Ausdruck und einen einzigartigen musikalischen Weg ermöglichte und eine Menge Spaß. Wir waren nie in der Lage einen Plattenvertrag abzuschließen, aber wir haben ständig Demos in Eigenregie aufgenommen. Kürzlich haben wir einen Haufen der besten von ihnen genommen, neuen Gesang und Instrumentierung hinzugefügt und sie als ein Album namens SYMPHONY FOR A MILLION MICE veröffentlicht. Und vor kurzem haben wir begonnen ein paar neue Stücke aufzunehmen, die wir langsam, eins nach dem anderen, veröffentlichen. Es ist toll an einen Ort zurückzukehren, an dem wir seit Jahrzehnten nicht mehr waren.

 

Die Arbeit als Sänger hat in keiner Weise zur Filmarbeit geführt. Sie war nur eine Quelle kreativen Schaffens und die ungewöhnliche Art von Musik, die wir gemacht haben, hat mir auch die Liebe zu unerwarteten Wendungen in Geschichten und Charakteren vermittelt die hoffentlich ihren Weg in meine Film- und Fernseharbeit gefunden haben.

 

Ich habe das Schreiben einfach nie aufgegeben, weil ich es nicht konnte. Nicht, um erfolgreich zu sein, sondern weil ich ein Schriftsteller bin und Schriftsteller schreiben. Und ich hatte das Glück, einen großartigen Agenten zu finden der von meiner Arbeit begeistert war und sie Steven Spielberg vorstellte. Dem gefiel sie so gut, dass er mich in den 80er Jahren als Autor für AMAZING STORIES engagierte. Ich hatte sehr viel Glück.

 

SFF) Wenn man sich Ihre Filmografie ansieht, wird deutlich, dass Sie sich sehr für den fantastischen Film begeistern. Was fasziniert Sie an diesen verschiedenen Genres?

 

M.G.) Es sind Orte, an denen man die Werkzeuge des Kinos am besten einsetzen kann. Nicht nur um reale Geschichten zu erzählen, sondern auch das Surreale darzustellen. Man kann nicht nur die Realität abfilmen, sondern sie erweitern. Traumwelten besuchen, Metaphern über den Zustand des Menschen und über das, was um uns herum geschieht, verwenden, ohne belehrend oder pedantisch zu sein. Es ist eine Möglichkeit unsere Ängste anzusprechen und sie auszulöschen oder sie zu genießen!

 

SFF) Woher haben Sie Ihre Inspirationen genommen?

 

M.G.) Die Leute, die mich in meiner Jugend am meisten inspiriert haben, waren Ray Bradbury, Richard Matheson, Rod Serling, Alfred Hitchcock, viele der Namen, die man vielleicht erwartet.

 

SFF) Haben Sie persönliche Idole, Vorbilder oder Filme, die Sie inspiriert haben?

 

M.G.) Nun, ich schaue wirklich zu so vielen Filmschaffenden in unserer Welt auf: Guillermo del Toro, David Cronenberg, Steven Spielberg, Jennifer Kent: Menschen, die eine einzigartige filmische Stimme haben und ihre eigenen Geschichten auf ihre Weise erzählen können. Menschen, die eine filmische Stimme haben, die sich von anderen unterscheidet.

 

SFF) Ihre Filme haben oft eine dunkle Thematik und eine Art von gruseliger Atmosphäre. Verarbeiten Sie in ihren Filmen persönliche Meinungen und Ängste?

 

M.G.) Auf jeden Fall. Ich habe keine Ängste vor dem Übernatürlichen, aber ich fürchte um die Sicherheit und das Herz von geliebten Menschen. Ich habe viele Verluste erlitten. Ich habe zwei Brüder und eine Schwester, meine beiden Eltern und mehrere Freunde verloren. Jeder dieser Verluste vertieft dich, als Mensch und als Künstler und verfeinert deine Ängste. Gummi und CGI-Monster machen mir keine Angst, aber lähmende Krankheit und Verlust schon und meine Arbeit der letzten Jahre spiegelt das wider. Ich interessiere mich für den Schmerz, der mit dem Tod einhergeht, und für das Gefühl, dass es mehr gibt als man mit einem Schreckmoment erreichen kann. Ich nenne es Emo-Horror.

 

SFF) Was mögen Sie am meisten: Produzieren, Schreiben oder Regie führen?

 

M.G.) Nun, ich produziere hauptsächlich um mich selbst zu schützen oder um erstaunliche Leute für ein Projekt zusammenzubringen. Um sie zu schützen, wie im Fall von MASTERS OF HORROR und NIGHTMARE CINEMA. Aber ich liebe beides, das Schreiben und die Regie, vielleicht sogar gleichermaßen. Aber es sind völlig unterschiedliche Dinge. Ich genieße die Einsamkeit, wenn ich in meinem Büro sitze und ganz allein Geschichten und Figuren erschaffe. Aber ich liebe auch die entgegengesetzten sozialen Anforderungen der Regietätigkeit, die Interaktion mit einer Besetzung und einem Team von kreativen Menschen, die einen umgeben.

 

SFF) Gibt es irgendwelche Voraussetzungen oder Talente, die man neben dem Enthusiasmus mitbringen muss um Regie zu führen?

 

M.G.) Nun, man braucht Engagement und man muss die Werkzeuge des Filmemachens verstehen. Als ich anfing wusste ich eine Menge über Filme, aber nicht über das Filmemachen. Wenn man neu ist verlässt man sich auf den Kameramann, der einem bei der Auswahl von Objektiven und Beleuchtungsmustern hilft, aber je mehr man über die technische Seite weiß, desto mehr versteht man wie man dem Publikum mit filmischen Mitteln am besten eine Emotion vermitteln kann. Ich habe nie eine Filmschule besucht, aber ich hatte das Glück anfangs für AMAZING STORIES zu schreiben und zu sehen, wie meine Drehbücher unter anderem von Martin Scorcese, Joe Dante und Robert Zemeckis verfilmt wurden. Je mehr man über die Werkzeuge des Kinos weiß, desto besser kann man Gedanken in Bilder umsetzen. Man muss wirklich ein Schwamm sein. Und die Mittel des Kinos ändern sich ständig. Man muss Filme lieben und mit ihnen auf dem Laufenden bleiben. Und wenn man Glück hat, ist man sogar den technischen Möglichkeiten voraus. Aber das Wichtigste ist, eine starke Geschichte mit realistischen, komplexen menschlichen Charakteren zu erzählen mit denen sich das Publikum identifizieren kann. Eine großartige Geschichte mit interessanten Charakteren, die nicht mit effekthascherischer Filmkunst gefüllt ist, ist immer besser als ein toll aussehender leerer Film.

 

SFF) Ich habe ein Interview mit Chris Walas geführt. Wir haben auch über DIE FLIEGE II (1989) gesprochen. Er sagte mir, und ich zitiere: "Wir nutzen die wunderbaren Möglichkeiten, die Cronenbergs Film bot, um einen ehrwürdigen Nachfolger zu machen. Aber das Studio mochte uns nicht. Sie wollten nur einen Teenagerfilm, also beschloss ich, diesen Film weniger als Monsterfilm zu machen. Er war nicht so emotional wie der erste Teil, aber ich denke, die Fans lieben ihn trotzdem." Du hast das Drehbuch für diesen Film geschrieben. Was sagst du zu dieser Aussage? Gab es wirklich viele Änderungen?

 

M.G.) Ich denke, er hat recht. Aber ich war der erste Autor. Das Studio hat meine ursprüngliche Geschichte nicht in den Film einfließen lassen. Es war ein frustrierender Prozess, denn wir hatten einige großartige Ideen, aber der neue Studiochef hatte eine völlig andere Vorstellung davon, was der Film sein sollte. Für die Studios sind Filme für und über Teenager und das interessiert mich nicht. Nachdem ich gegangen war, um bei CRITTERS 2 Regie zu führen, arbeiteten drei Drehbuchautoren daran und die Dinge änderten sich sehr. Ich wünschte, wir hätten die erwachsenere Geschichte machen können, die mir vorschwebte.

 

SFF) Können Sie denn bitte erläutern, wie die Originalgeschichte aussah?

 

M.G.) Ursprünglich wird Veronica (Geena Davis aus dem ersten Teil) von einer religiösen Gruppe überredet, das Kind nicht abtreiben zu lassen. Diese Gruppe hat ein geheimes Ausbildungszentrum, in dem Kinder zu geistigen und körperlichen Höchstleistungen erzogen werden, ohne zu ahnen, wozu der kleine Brundle fähig ist. Sie sind dabei eine christliche Armee aufzubauen. Aber Brundle Jr. wächst schnell heran und flieht auf der Suche nach seiner Mutter. Und die Hölle bricht los.

 

SFF) Kommen wir nun zu dem Film THE STAND (1994). Ein Film, den ich abgöttisch liebe. Das Buch ist ein gewaltiges Werk. Wie haben Sie dieses gigantische Projekt in den 1990er Jahren vorbereitet? Wie geht man an eine solche Umsetzung heran?

 

M.G.) Zunächst einmal danke ich Ihnen. Das Wichtigste, was man tun kann, ist dem Drehbuch zu vertrauen. Das Drehbuch von King war ein Ungetüm von 460 Seiten und es war brillant. Es immer wieder durchzugehen und ihm zu vertrauen war die beste Vorbereitung die wir haben konnten. Aber es waren drei Monate der Planung, in denen wir mit dem Kameramann, dem Produktionsdesigner, der Besetzung und dem Casting-Direktor und mit King zusammensaßen, um einen Weg zu finden wie wir dem Buch und dem Drehbuch gerecht werden konnten. Ich wusste, dass wir ein großartiges Drehbuch hatten und wenn wir uns nur darauf beschränkten, die beste Art und Weise zu drehen, die Spannung zu erhöhen, die Träume filmisch zu illustrieren, indem wir uns ständig von einem Ort zum anderen bewegten, dann würde es uns gelingen. Wir haben 100 Tage langgedreht und es war der längste und schwierigste Job den ich je hatte. Aber wir hatten eine fantastische Besetzung und Crew und es gelang uns, so viel kreativen Enthusiasmus und Liebe für das Projekt zu wecken, dass jeder viel mehr für die Produktion gab, als er musste. Es war eine unglaubliche Erfahrung und ich hatte wirklich großes Glück, dass alles so geklappt hat wie es geklappt hat.

 

SFF) Was mich immer fasziniert hat, war das Produktionsdesign. Dafür war hauptsächlich Nelson Coates verantwortlich. Was genau war die künstlerische Vorgabe für dieses Projekt? Wie fängt man an, eine apokalyptische Welt zu gestalten?

 

M.G.) Ein großer Stolperstein war das Budget. Es war wirklich entscheidend herauszufinden, wie man das machen kann. Wir wollten, dass der Film in einer sehr realen Welt spielt und dennoch sollten die Träume traumhaft sein, aber viel aussagen. Wir haben nicht sehr viele Kulissen gebaut, und die, die wir gebaut haben, wie das Haus von Mutter Abigail im Maisfeld, wurden dadurch erschwert, dass wir es auf der Bühne drehen mussten. Wir importierten tonnenweise echte Maisstängel aus Florida und als sie am Set in Utah ankamen waren sie alle tot und braun. Also entschied ich mich für die künstliche Theatralik und drängte die Träumerei stärker in den Vordergrund als die Realität. Manchmal, wenn man nicht genug Ressourcen hat, muss man seine Kreativität anregen um Reserven der Vorstellungskraft zu finden von denen man gar nicht wusste, dass man sie hat. Und um das freizusetzen, was man tun kann. Auch hier wurde fast der gesamte Film an realen Schauplätzen gedreht. Die Suche nach wirklich interessanten und tiefgründigen Schauplätzen für den Film hat uns eine Menge Produktionswert gegeben, den wir uns sonst nicht hätten leisten können.

 

SFF) Die Besetzung in diesem Film ist einfach wunderbar. Selbst die Cameos wie Kathy Bates oder Ed Harris sind erstklassig. Nach welchen Kriterien haben Sie die Schauspieler ausgewählt?

 

M.G.) Kathy Bates hatte gerade einen Oscar für ihre Rolle in MISERY (1990) gewonnen und King fragte sie, ob sie den Film machen würde. Der Produzent hatte bereits mit Ed Harris gearbeitet und wir haben ihn für zwei Tage engagiert. Aber unsere Casting-Direktorin Lynn Kressel hatte brillante Ideen, und wir alle, von mir über King und Lynn bis hin zu Freunden und Agenten, trugen dazu bei einer denkwürdigen Besetzung von mehr als 125 Schauspielern zusammenzustellen. Diejenigen, die etwas Überraschendes in die Rolle einbrachten, waren am einfachsten zu besetzen. Molly Ringwald, Rob Lowe, Ruby Dee und Ossie Davis brachten alle etwas ganz Besonderes mit. Aber Gary Sinise war wirklich ziemlich neu für uns und hat mich in VON MÄUSEN UND MENSCHEN (1992) umgehauen. Der erste Schauspieler den wir vorsprechen ließen, war Matt Frewer, und uns mit seiner Kombination aus Wahnsinn und Pathos umgehauen hat. Er hat uns bei seinem Vorsprechen wirklich Tränen in die Augen getrieben.

 

SFF) Laut Imdb war auch Jeff Goldblum an dem Film beteiligt. Allerdings nur seine Stimme. Stimmt das?

 

M.G.) Nein, das ist nicht wahr.

 

SFF) THE STAND ist eine der vielen Stephen-King-Verfilmungen, bei denen Sie Regie geführt haben. Man kann es nie allen recht machen, und so gab es immer wieder Kritiker oder Fans, denen die eine oder andere Verfilmung nicht gefiel. Was halten Sie von diesem ewigen Thema, dass man ein literarisches Werk nie 1:1 verfilmen kann?

 

M.G.) Nun, ich denke, das ist Bullshit. Denken Sie an die vielen Klassiker, die nach Büchern verfilmt wurden: von FRANKENSTEIN (1931) und DRACULA (1931) bis zu PSYCHO (1960) und SO FINSTER DIE NACHT (2008). Aber nicht alle Filme können oder sollten verfilmt werden. Aber Kings Bücher sind sehr filmisch, und die besten Verfilmungen sind als Filme ebenso gut wie als Bücher.

 

SFF) Haben Sie ein Projekt, das Sie schon immer machen wollten, oder ist etwas in Arbeit, an dem wir uns in Zukunft erfreuen können?

 

M.G.) Ich würde gerne meinen Roman SALOME und meine Novelle FREE verfilmen. Und Clive Barker und ich entwickeln derzeit eine neue Anthologie-Fernsehserie, die auf neuen Originalgeschichten basiert, die Clive eigens dafür geschrieben hat.

 

SFF) Die wichtigste Frage stelle ich immer zum Schluss: Welcher Ihrer Filme war am schwierigsten zu realisieren und warum?

 

M.G.) Das ist einfach: THE STAND. Er war riesig, er war komplex. Wir haben ihn in sechs Staaten gedreht, über 100 Tage lang, meist unter freiem Himmel und wenn es regnen sollte, war es sonnig, und wenn es sonnig sein sollte, hat es geschneit. Es gab 126 Sprechrollen. Wir drehten oft an zwei Drehorten am Tag und waren ständig in Bewegung. Es war eine riesige Maschinerie, und wir standen jeden Tag vor neuen Herausforderungen. ALLES an den Dreharbeiten zu THE STAND war schwierig... aber das, was einen nicht umbringt, macht einen stärker, oder?

 

SFF) Das ist wohl wahr. Lieber Mr. Garris. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben und wünsche Ihnen alles Gute für Ihr weiteres Filmschaffen.

 

M.G.) Danke, Till.