Science Fiction Filme) Lieber Mr. Frizzell. ALIEN – DIE WIEDERGEBURT (1997), DANTE´ S PEAK (1997), 13 GEISTER (2001) oder die TV-Serie THE FOLLOWING (2013 – 16) sind nur einige Filme oder Fernsehsendungen, die Sie mit Ihrer Musik untermalt haben. Erzählen Sie uns doch bitte zunächst einmal, wie Sie zur Musik gekommen sind?

 

John Frizzell) Als Kind sang ich in der Kirche und wurde dann für den Kinderchor der Metropolitan Opera Company und der Paris Opera Company engagiert.  Aber das alles endete abrupt, als sich meine Stimme veränderte. Ich begann, Rockgitarre zu spielen und entdeckte später den Jazz. Danach studierte ich Musik an der USC und der Manhattan School of Music.  Dann fand ich heraus, wie ich meinen Lebensunterhalt mit der Vertonung von TV-Werbespots in New York bestreiten konnte und erwarb mir einen Ruf für die Vertonung von Werbespots, die einen cineastischen Ton benötigten.  Ein Freund empfahl mich an Ryuichi Sakamoto, der mich für die Miniserie WILD PALMS für die Orchestrierung auf dem Synthesizer oder 'Synthestrate' engagierte.

 

SFF) Sie haben mit Fernsehfilmen angefangen als Komponist für die Branche. Vorher haben Sie aber noch sehr viel mehr gemacht in der Welt der Musik. Wie kam es denn dann zum ersten Engagement im Film?

 

J.F.) Nachdem ich mit Ryuichi Sakamoto gearbeitet hatte, wusste ich, dass ich es wirklich mit der Filmmusik versuchen musste.  Ich konnte die Werbebranche nicht ausstehen, also habe ich aufgehört und neu angefangen.  Ich lernte James Newton Howard kennen und bekam schließlich die Gelegenheit, die Filmmusik zu zwei Filmen mit ihm zu komponieren: TÖDLICHE VERSCHWÖRUNG (1996) und DANTE´S PEAK.

 

SFF) Mit James Newton Howard (Komponist von unter anderen OUTBREAK (1995), BATMAN BEGINS (2008) oder der DIE TRIBUTE VON PANEM-Reihe) verbindet sie viel. Warum?

 

J.F.) James Newton Howard hatte den größten Einfluss auf mich.  Es ist nicht nur die unglaubliche Tiefe seiner Musik, sondern auch die Art und Weise, wie er arbeitet, die Liebe zum Detail, das Streben, sich immer weiter zu verbessern.  James war wirklich die ganze Zeit mein Vorbild.

 

SFF.) Sie haben nicht nur eine unverwechselbare Art mit Musik umzugehen, sondern Sie benutzen auch sehr ungewöhnliche Instrumente und dadurch wirken Ihre Kompositionen stets "anders" und extrem gut hörbar. Woher kommt Ihr Faible für diese Art der Musik?

 

J.F.) Es hat mir schon immer Spaß gemacht ungewöhnliche Klänge und interessante synthetische Klänge zu erforschen.  Ich setze mir oft das Ziel, elektronische oder synthetische Klänge einzubauen, die sich nicht von akustischen Klängen unterscheiden lassen, aber auch nicht imitativ sind.  Wenn mir also jemand die Frage stellt, ob etwas akustisch oder elektronisch ist, lautet die Antwort: Ja!

 

SFF.) Sie komponieren nicht nur für Filme, sondern arbeiten auch für Dokumentationen oder Fernsehserien oder Specials. Wie unterscheiden sich diese unterschiedlichen Projekte in Bezug auf Ihre Kompositionen? Nehmen wir hier als Beispiel ZAPPA. Ist es nicht ungemein schwierig einen Score zu schreiben über einen genialen Mann, der ebenfalls geniale Kompositionen gemacht hat?

 

J.F.) Ja! Ich hatte große Angst, Musik für Zappa zu schreiben.  Alex Winter, der Regisseur, hat mir wirklich sehr geholfen, Frank Zappas Wertschätzung für Filmmusik zu verstehen.  Ich wollte einfach keine Musik unter Bilder von Frank Zappa legen, die er gehasst hätte.  Ich bin sehr zufrieden damit, wie der Film geworden ist und bin mir ziemlich sicher, dass Frank Zappa meine Musik nicht gehasst hätte. Das hoffe ich sehr.  Ich habe so viel Respekt vor Zappa, dass ich es nicht in Worte fassen kann und seine Musik und sein Leben zu Ehren bedeutet mir alles.

 

SFF.) Wo wir gerade bei anderen genialen Komponisten sind. Eine Frage, die Sie wahrscheinlich schon häufiger gestellt bekommen haben: Gibt es große Filmmusikkünstler, die Ihrer Meinung nach, die Filmmusik nachhaltig verändert haben? Und wenn ja warum?

 

J.F.) So viele, neben Morricone und Goldsmith und natürlich Williams, liebe ich die Filmarbeit von Prokofiev und Copland und Corigliano.

 

SFF.) Wie bereiten Sie sich als Komponist auf Projekte wie GODS AND GENERALS vor?

 

J.F.) Ich hatte nicht viel Zeit, um mich vorzubereiten.  Ich habe versucht mir vorzustellen wie ich mich als Soldat im 20. Jahrhundert fühlen würde - mit der Gewissheit, dass ich einen schrecklichen, schmerzhaften Tod sterben würde.  Mit diesem Gedanken und all den anderen unvorstellbaren Qualen und dem menschlichen Leid, das mit dem Krieg verbunden ist, habe ich die Partitur geschrieben.

 

SFF.) Im Laufe der letzten Jahre habe ich einige Künstler interviewt, die an den ersten vier ALIEN-Teilen mitgewirkt haben, wie zum Beispiel Dennis und Robert Skotak, Gino Acevedo, Brian Johnson, Alec Gillis oder Mark Rolston. Nur aus dem vierten Teil bislang noch keinen (außer Mr. Gillis). Und da ich ein großer Fan dieser Reihe bin muss ich Sie einfach nach ALIEN-  DIE WIEDERGEBURT befragen. Zunächst einmal: Wie sind Sie zu diesem Engagement gekommen?

 

J.F.) Mein großartiger Freund Daniel Schweiger drängte mich dazu, Jean-Pierre Jeunet meine Filmmusik für den Film DER LEERE SPIEGEL vorzuschlagen.  Ich stand gerade am Anfang meiner Karriere und war mir sicher, dass ich nie eine Chance auf den Job haben würde.  Daniel fragte mich immer wieder, was passiert sei, und ich sagte 'nichts', und er drängte mich, meine Musik erneut einzuschicken und wieder und wieder. Und irgendwie hat Jean-Pierre sie angehört.  Von da an ging es wirklich schnell und ich wurde sofort eingestellt.

 

SFF.) Jeder der ersten vier Filme hat seinen eigenen Stil, seine eigene Herangehensweise an den Mythos ALIEN. Jeder Film trägt die Handschrift des Regisseurs. Und so klingt dann auch dementsprechend die Musik. Während Goldsmith für den ersten Teil sehr viel unterschwellige Gothicvarianten mit seiner atonalen Art brachte, kam mit Horner wieder Action ins Spiel im zweiten Teil. Goldenthal brachte düstere sakrale Stimmung in die Reihe. Ihre Komposition spiegelt ebenfalls die Art und Weise wieder, wie Jeunet Filme inszeniert. Viele gekonnte Spielereien und eine tolle Zusammenfassung der vorherigen drei Teile gepaart mit einer immensen Wucht Ihrer eigenen Anteile. Wie sind Sie an diese Komposition herangegangen? Was waren Ihre Intentionen?

 

J.F.) Wenn ich ein Attribut meiner Noten auswählen müsste würde ich sagen, Sexualität und Sinnlichkeit. Vielleicht ist es eine erotische Musik?  Ich habe versucht, Themen zu schaffen, die gleichzeitig dunkel und sexy sind.

 

SFF.) Einer, wenn nicht sogar mein liebster Track des Scores ist THEY SWIM..., weil er einfach alles beinhaltet, was den gesamten Score ausmacht: Schneller Wechsel, pompöse Musik, spannender Aufbau, wiedererkennbare Sequenzen. Kommt Ihnen die Musik während Sie den Film im Rohschnitt sehen oder gleich beim Drehbuchlesen?

 

J.F.) Danke für 'They Swim'.  Das ist das schwierigste Stück, das ich bis heute geschrieben habe. Ich habe etwa drei Wochen gebraucht um das Stück zu schreiben und Jean-Pierre war beim ersten Mal als er es hörte, nicht begeistert davon.  Ich war niedergeschlagen und versteckte mich ein paar Tage lang verzweifelt unter meinem Laken. Dann schrieb ich eine neue Version. Jean-Pierre mochte auch die zweite Version nicht. Panik machte sich breit und ich schrieb eine dritte.  Das letzte Stück ist eine Mischung aus Version 1 und Version 3.  Es war ein herausfordernder kreativer Prozess, aber das sind doch die besten, oder?

 

SFF.) Allerdings. ALIEN 3 (1992) hatte bei der Premiere das Problem, das er absolut missverstanden wurde. Erst Jahre später ging eigentlich sein Stern richtig auf. So ähnlich kann man auch vom vierten Teil berichten. Was sagen Sie zu diesen immerwährenden Kritiken? Ist das ein Teil unsere Kultur geworden, erstmal alles schlecht zu reden?

 

J.F.) Ich verbringe nicht viel Zeit damit über Dinge nachzudenken, die ich fertiggestellt habe. Ich gebe alles was ich habe, wenn ich einen Film mache und gebe mich ganz dem Film hin.   Leute, die nie etwas schaffen, haben oft die meisten Meinungen. Und ich verbringe nicht viel Zeit damit, darüber nachzudenken.  ALLES ROUTINE (1999)   war eine ähnliche Erfahrung. Nur wenige Leute verstanden, dass der Film genial war, als wir ihn fertigstellten.  Jetzt scheint jeder ein Fan zu sein.

 

SFF) Ich bin ein großer Fan von Science-Fiction-Filmen. Glauben Sie, dass diese Genres etwas an die Menschen weitergeben können? Wäre es sinnvoll, in den heutigen schwierigen gesellschaftspolitischen Zeiten zu dieser Tradition zurückzukehren? Der Transport der Überwindung sozialer Probleme durch Unterhaltungsfilme?

 

J.F.) Sci-Fi kann ein ziemlich gutes "Warnsystem" für eine Kultur oder Gesellschaft sein.  Ich denke, das Buch 1984 ist ein gutes Beispiel dafür.  Auch Satire kann dies guttun; Jonathan Swift und Voltaire kommen mir in den Sinn. Für mich sind Filme und Literatur für eine Gesellschaft das, was Träume für ein Individuum sind.  Ich glaube, dass Filme bis zu einem gewissen Grad unser kulturelles Unbewusstes ausdrücken.   Genauso wie es für einen Menschen ungesund ist, im Schlaf nicht zu träumen, ist es auch für eine Kultur ein Problem, keine Geschichten zu erfinden.  Und so wie man anhand der Träume eines Menschen erkennen kann, was in ihm vorgeht, kann man auch anhand der Geschichten, die entstehen und beliebt sind, Rückschlüsse auf eine Gesellschaft ziehen.

 

SFF.) Wir alle haben unsere Lieblingsfilme. Aber welche Filme mögen Sie nicht und warum?

 

J.F.) Welche Filme mag ich nicht? Die meisten.  Ich mag nur sehr wenige Filme. Also mag ich 99,9 Prozent der Filme nicht.  (Lacht)

 

SFF) GHOST SHIP (2002) zu dem Sie auch die Musik beigesteuert haben, ist einer meine Lieblinge. Ich liebe diesen Film, weil er das Genre lobt und gleichzeitig ironisch ist. Wenn man sich Ihre Arbeit anschaut, sieht man, dass Sie auch viele Genrefilme vertont haben, vor allem Mitte der 90er bis Mitte der 00er Jahre. Haben Sie eine Schwäche für Genrefilme?

 

J.F.) Ich bin froh, dass die Leute diesen Film mögen.  Er ist auf jeden Fall sehr ungewöhnlich.  Außerdem sagen mir viele Leute, dass sie 13 GEISTER wirklich lieben. Vielleicht ist er ein bisschen zum Kult geworden?  Auch hier habe ich mich voll reingehängt und mich bemüht, etwas Fesselndes und Erschreckendes zu schaffen.

 

SFF.) Sie haben Filmmusik für viele Horrorfilme geschrieben. Was macht Ihnen eigentlich Angst?

 

J.F.) Nihilismus. Ich habe schreckliche Angst vor Nihilismus. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens damit verbracht, ihn zu erkennen und zu vermeiden.

 

SFF) Was war denn mit Ihr tollstes Erlebnis was Filmmusik betrifft, die Sie komponiert haben?

 

J.F.) Mein Lieblingsfilm, den ich gedreht habe, und mein schönster kreativer Prozess war 2022 BEAVIS AND BUTT-HEAD DOES AMERICA.  Diese beiden Idioten zurückzubringen, bedeutet mir alles und ich war begeistert.  Ich bin wirklich dankbar, dass ich für meine Filmmusik einen HMMA-Preis gewonnen habe.  Mehr als alles andere möchte ich mehr Animationen machen. Ich liebe es einfach.

 

SFF.) Hand aufs Herz: In welchem Film hätten Sie gerne mitgewirkt?

 

J.F.) THE MATRIX (1999). Aber ich hätte es nicht so gut machen können wie Don (Davis, der Komponist der Filmmusik, Anmerkung von SFF).  Er ist einfach zu gut.

 

SFF.) Welche Tipps haben Sie für angehende Komponisten, die an Spielfilmen arbeiten möchten?

 

J.F.) Hmm. Studieren Sie Werke, die Sie lieben. Ich nenne das 'musikalische Autopsien' der großen Werke. Ich verbringe Jahre damit, sie zu studieren und herauszufinden was sie ausmacht.  Dann muss man immer wieder auftauchen und wirklich hartnäckig sein und niemals aufgeben.

 

 SFF.) Die wichtigste Frage habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben: Was war das schwierigste Projekt, an dem Sie gearbeitet haben, und warum?

 

J.F.) Schwierig im Sinne von "herausfordernd" oder schwierig im Sinne von frustrierend? Ich suche ständig nach "herausfordernden Schwierigkeiten".   DANTE´S PEAK war extrem schwierig, weil ich so wenig Zeit hatte es zu schreiben.  Ich brauchte ungefähr vier Wochen für das ganze Werk.  Ich habe kaum geschlafen. Aber ich habe herausgefunden, dass ich das schaffen kann.  Es hat mich schon früh gefordert und ich habe gemerkt, dass ich eine Menge Druck aushalten kann. Auf eine seltsame Art und Weise gefällt mir das irgendwie.

 

SFF.) Lieber Mr. Frizzell. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben, und wünsche Ihnen alles Gute für Ihr zukünftiges Filmschaffen.

 

J.F.) Ich danke Ihnen sehr!