Science Fiction Filme) Lieber Mr. Mercer. Ich danke Ihnen, dass Sie sich bereit erklärt haben, einen Überblick über Ihr Schaffen und zu geben. Sie sind Storyboard Artist und  Konzeptzeichner und haben in diesem Bereich schon an vielen Filmen mitgearbeitet wie z.B. LORD OF ILLUSIONS (1995), PREDATOR: UPGRADE (2018) oder für die TV-Serie AKTE X. Bevor wir aber zu Ihren beruflichen Schaffen kommen, würden Sie bitte so nett sein und uns zunächst berichten was Sie gemacht haben bevor Sie ins Filmgeschäft eingestiegen sind?

 

Martin Mercer) Bevor ich ins Filmgeschäft eingestiegen bin habe ich die Schule besucht und wurde von einer Schauspielagentur für junge Leute vertreten. Ich habe bei ein paar Fernsehsendungen mitgewirkt und einige Werbespots gemacht. Ich hatte vor nach der Schule auf die Kunsthochschule zu gehen aber dann bot sich mir die Gelegenheit beim Film zu arbeiten. Also habe ich das College auf Eis gelegt und an LABYRINTH (1986)  gearbeitet, was mein erster Job war.

 

SFF.) Soweit ich richtig informiert bin (bitte korrigieren Sie mich wenn es nicht stimmt) sind sie quasi in die Lehre bei Clive Barker gegangen. Wie hat sich das zugetragen?

 

M.M.) Eigentlich war ich Lehrling bei einem Special Effects Supervisor namens George Gibbs. Ich lernte George durch seinen Sohn kennen, der mein Schulfreund war. Er konnte sehen, dass ich gerne Dinge und Modelle herstellte. George nahm uns am Wochenende mit um die Filme zu besuchen an denen er arbeitete, wie BRAZIL (1985) und INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES (1984). Ich stand kurz vor meinem Schulabschluss und nutzte die Gelegenheit um ihn zu fragen ob ich ein Praktikum in seiner Firma machen könnte. Er bot mir einen unbezahlten Job bei LABYRINTH (1986) an. Ich musste den Boden fegen, Tee kochen und andere Aufgaben übernehmen, aber das war mein Einstieg in das Geschäft. Nach einer kurzen Zeit als Praktikant wurde ich schließlich in eine bezahlte Stelle übernommen. George war einige Jahre lang mein Mentor; leider ist er letztes Jahr verstorben.

 

SFF.) Ja, das ist leider wahr. Ich war gerade dabei, ein Interview mit ihm zu führen, als die Nachricht kam.  Sie machen ja nicht nur Storyboards oder Konzepte, sondern haben auch Kreaturen entworfen. Was bereitet Ihnen denn mehr Freude?

 

M.M.) Die Arbeit an Storyboards macht mir jetzt viel mehr Spaß. Ursprünglich wollte ich mehr Konzeptkunst machen, aber im Laufe der Jahre habe ich entdeckt, dass es mir wirklich Spaß macht, dabei zu helfen die Geschichte zum Leben zu erwecken. Storyboarding ist visuelles Geschichtenerzählen und das macht mir viel mehr Spaß.

 

SFF.) Um Storyboards zu gestalten benötigt man mit Sicherheit viele Talente wie zum Beispiel Kreativität, Ausdauervermögen, räumliche Vorstellungskraft oder allgemein zeichnerisches Talent. Was glaubst du denn sind noch Grundkenntnisse die man besitzen müsste, um den Job auszuführen, den du machst?

 

M.M.) Man muss ein Gespür für das Erzählen von Geschichten, für Kamerawinkel und -bewegungen haben um dem Publikum die beabsichtigte Vision des Regisseurs zu vermitteln. Ich denke eine gute Grundlage ist das Zeichnen von Figuren, die Fähigkeit, schnell zu zeichnen und ein räumliches Vorstellungsvermögen. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Storyboarding ist das Wissen um die Komposition und die Balance des Bildes. Ich schaue mir gerne ältere Filme wie David Leans OLIVER TWIST (1948) und LAWRENCE VON ARABIEN (1962) an, weil sie eine starke visuelle und kompositorische Wirkung haben, insbesondere die Schwarzweißfotografie.

 

SFF.) Wie genau bewerten Sie die Wichtigkeit von Storyboards? Sind sie nur ein weiteres Hilfsmittel um Geschichten zu erzählen oder haben sie ein besonderes Merkmal, welches nur Storyboards haben können?

 

M.M.) Ridley Scott schätzt die Bedeutung von Storyboards sehr ebenso wie Stanley Kubrick, Alfred Hitchcock und Denis Villeneuve. Die Ausarbeitung der Geschichte und der Ideen trägt zu einer reibungsloseren Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen und den Darstellern und der Crew bei die mit einer klaren Vision zusammenarbeiten. Die Fähigkeit zur Vorvisualisierung eines Films, das Storyboarding, unterscheidet sich von der Vorvisualisierung. Beim Storyboarding geht es mehr um ein Gefühl für den Film, eine Blaupause des Films oder des Projekts, als bei der Vorvisualisierung am Computer, die viel technischer ist. Das Storyboarding ist im Grunde das emotionale Herzstück des Films.

 

SFF.) Wenn Ihren Job erklären müssten, wie würden Sie das machen?

 

M.M.) Meine Aufgabe ist es, die Vorstellungen des Regisseurs so zu übersetzen, dass er sie dem Produktionsteam leicht vermitteln kann.

 

SFF.) Storyboards ist  die bildliche Abfolge des zuvor geschriebenen Drehbuchs. Inwiefern sind andere Personen bei der Gestaltung der Storyboards mit involviert? Entspringen Ihre Storyboards „nur“ aus Ihrem Kopf oder welche Personen haben maßgeblichen Anteil an der Entwicklung (neben dem Regisseur und dem Drehbuchautor)? Welche sind die wichtigsten Personen mit denen Sie zusammenarbeiten?

 

M.M.) Die wichtigste Person ist der Regisseur.  Der Regisseur erklärt dem Künstler, was er auf der Leinwand sehen will. Regisseure kommunizieren auf unterschiedliche Weise. Manche sind sehr detailliert und stellen Shot-Listen zur Verfügung, wie zum Beispiel Kate Herron bei LOKI, wo jede Einstellung aufgelistet ist. Ich setze das dann bildlich um. Manchmal schlage ich einen anderen Blickwinkel oder eine andere Art und Weise vor, wie wir die Einstellung/Sequenz machen könnten, und der Regisseur entscheidet, ob das funktioniert. In vielen Fällen sind unsere Vorschläge willkommen, und bei einigen Produktionen sind wir an der Entwicklung der Geschichte beteiligt. Manche Regisseure legen dir das Drehbuch vor und bitten dich, einen Durchlauf zu machen, dann gehen sie es durch und nehmen Änderungen vor. Andere wichtige Leute sind die Kameraleute, die Verantwortlichen für die visuellen Effekte und die Produktionsdesigner, die sich je nach Art der Sendung von Zeit zu Zeit einmischen werden.

 

SFF.) Bei viele (oder fast bei allen) Filmen oder Fernsehserien gibt es Nachdrehs. Diese geschehen ja häufig relativ schnell. Wie flexibel muss man sein um diese Nachdrehs vorher zu visualisieren?

 

M.M.) Nachdrehs sind in der Regel im Budget vorgesehen und es ist keine Überraschung, wenn sie stattfinden.  Für mich ist es derselbe Prozess. Der Regisseur bespricht die Änderungen und zeitlich gesehen gibt es für mich normalerweise keinen großen Unterschied.

 

SFF.) Wie schwierig ist es generell ein Storyboard herzustellen? Welche Hürden muss man überwinden?

 

M.M.) Das Schwierigste beim Storyboarding ist der Zeitdruck und die Ablage der verschiedenen Sequenzen, die Nummerierung der Seiten und Bilder. Die technische Organisation der Sequenzen und Frames ist mühsam und zeitaufwendig.

 

SFF.) Neben Kinofilmen arbeiten Sie auch für das Fernsehen. Aktuell für die Fernsehserie LOKI. Wie zügig muss man für das Fernsehen arbeiten? Gibt es große Unterschiede zu Kinofilmen bei Storyboards?

 

M.M.) Ich habe viel im Fernsehen gearbeitet, von den Filmen der Woche in den 90er Jahren bis zu Serien wie CSI und ER. Der Hauptunterschied war damals die Zeit und das Budget, das nicht dasselbe war wie beim Film. Jetzt hat sich das geändert.  LOKI war so, als würde man einen sechsstündigen Film drehen. Man hat große Sets und fast jedes Bild hat visuelle Effekte irgendeiner Art.Also ist die Arbeit an einer Fernsehserie mit großem Budget jetzt wie ein Film.

 

SFF.) Wenn Sie ein Storyboard erstellen, haben Sie den gesamten Film vor Ihnen? Fällt es Ihnen manchmal schwer, eine Geschichte zu gestalten, wenn sie Ihnen nicht korrekt oder unstimmig anfühlt?

 

M.M.) Normalerweise hat man das gesamte Drehbuch und jeder Künstler bekommt eine Sequenz zugewiesen. Bei AQUAMAN (2018) wurde mir zum Beispiel der Arenakampf zugewiesen. James Wan teilte mir seine Ideen mit, sagte aber ich könne sie erweitern. Was ich auch tat und er reagierte gut darauf. Bei anderen Filmen ist es manchmal eine Herausforderung sich darauf einzulassen, aber ich versuche immer etwas zu finden um die Szene zum Leben zu erwecken. Ich verlasse mich auf meinen Instinkt, wenn ich eine Szene lese und verbinde ihn mit dem Wissen über den Stil des jeweiligen Regisseurs. Bislang hat sich das als erfolgreich erwiesen.

 

SFF.) Wie groß ist Ihr Mitspracherecht bei Filmen und ihrer Entwicklung?

 

M.M.) Wenn ein Film oder ein Projekt entwickelt wird, in der Regel bevor grünes Licht und ein Budget/Veröffentlichungsdatum feststehen, beauftragen uns Produzenten und Regisseure mit der Erstellung von Pitchboards.  Im Allgemeinen dienen die Tafeln dazu, die Idee des Projekts zu verkaufen. Ich habe dies erfolgreich bei Filmen wie POWER RANGERS (2017) unter der Regie von Dean Israelite getan. Wir arbeiteten zusammen an Tafeln und Präsentationsgrafiken, um Deans Vision zu vermitteln und den Film zu realisieren.

 

SFF.) Wie zeichnen Sie heute? Digital oder noch „old school“?

 

M.M.) Ich zeichne digital, indem ich Procreate zum Skizzieren verwende und dann auf meinen Laptop übertrage und ein Wacom-Tablett mit Photoshop verwende, um die Tafeln fertigzustellen und zu rendern. Ich habe auch immer ein Skizzenbuch bei mir, in dem ich einen Bic-Stift verwende.  Es ist einfach so schön, auf Papier zu skizzieren, dass ich das genieße, aber ich liebe das digitale Skizzieren genauso sehr.

 

SFF.) Welche Künstler haben Sie nachhaltig beeindruckt und inwieweit fließen deren Kreativität in Ihre Arbeit mit ein?

 

M.M.) Alfred Hitchcock, Ridley Scott, Stanley Kubrick und Steven Spielberg. Schon in jungen Jahren habe ich die Art und Weise, wie sie die Kamera bewegten, das visuelle Design innerhalb des Rahmens und die Inszenierung einer Szene genutzt. Wer kann schon den Anfang von der UNHEIMLICHEN BEGEGNUNG (1977) oder das Design von VERTIGO (1958) vergessen? Ich versuche immer, bei meiner Arbeit an diese Dinge zu denken. Ganz gleich wie sehr sich die Kameraausrüstung oder die Technologie weiterentwickelt. Diese zeitlosen Bilder inspirieren mich immer wieder bei meiner Arbeit.

 

SFF.) Hand aufs Herz: An welchen Projekt hätten Sie gerne mal mitgewirkt?

 

M.M.) Ich hätte gerne an den Harry-Potter-Filmen mitgewirkt, die ich wirklich liebe und immer bewundert habe wie detailreich sie waren und wie die Welt erschaffen wurde.

 

SFF.) Einer der wichtigsten Fragen hebe ich mir immer bis zum Schluss auf: Was war die härteste berufliche Erfahrung in Ihrem Leben und welche war die größte Herausforderung?

 

M.M.) Die härteste berufliche Erfahrung war einfach der Versuch, mit den erforderlichen Fähigkeiten Schritt zu halten, einschließlich digitaler Softwarekenntnisse und technischer Zeichenkenntnisse. Ich habe nie studiert, bin also ein autodidaktischer Illustrator. Das war schon immer eine Herausforderung, denn es gibt so viele großartige Künstler, dass es schwierig war, zwischen all diesen Talenten einen Platz zu finden.

 

Der schwierigste berufliche Moment war als ich für den Regisseur David Ayer an SUICIDE SQUAD (2016) gearbeitet habe. Ich war erst seit ein paar Tagen dabei und wurde von den Produzenten gebeten, dem Regisseur zu zeigen was ich gemacht hatte. Dummerweise schickte ich meine sehr groben Kritzeleien mit denen ich die Szene skizziert hatte. Wie erwartet, dachten sie wahrscheinlich: "Was zum Teufel ist das?" Danach wurde mir gesagt, dass ich Ende der Woche fertig sein müsste. Zuerst war ich wütend, aber dann habe ich mich auf den Prozess besonnen. Ich habe die ganze Woche über fleißig weitergearbeitet um meine Szene fertigzustellen. Am Ende der Woche kam der Regisseur David Ayres und ging durch den Raum um sich die Arbeiten aller Künstler anzusehen. Er kam vorbei und fragte: "Was hast du?" Ich war überrumpelt, aber ich war bereit ihm meine fertigen Tafeln zu zeigen und ihm die Szene vorzustellen. Kurz nachdem Ayers den Raum verlassen hatte, kam der Produzent herein und sagte: "Das habt ihr toll gemacht" und mit dem Finger auf mich zeigend fügte er hinzu: "...und das schließt dich ein!" Unnötig zu sagen, dass ich meinen Job zurückbekommen habe. Eine wichtige Lektion: Manchmal ist es besser keine Kritzeleien zu zeigen und es ist gut durchzuhalten.

 

SFF) Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre Zeit und die Möglichkeit mehr über Ihren Beruf zu erfahren. Bleiben Sie  gesund und weiterhin viel Erfolg.

 

M.M.) Vielen Dank! Die Seite gefällt mir sehr gut.