Text von Bernhard Heidkamp

 

Die meisten Größen der Filmmusik, über die gerne gesprochen wird, sind US-Amerikaner. Und dann gibt es noch Ennio Morricone. Der kürzlich verstorbene 91-jährige Italiener hat es geschafft, dass sein Name ähnlich synonym für ein denkwürdiges Filmerlebnis steht wie John Williams, Jerry Goldsmith oder Hans Zimmer (den er maßgeblich beeinflusst hat) und das nicht ohne Grund. Mit über 400 Filmen hat sich der Mann seinen Status als lebende Legende redlich verdient.

 

Am meisten bekannt ist Morricone vermutlich für seine Western, insbesondere die Arbeiten mit Sergio Leone. „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Zwei Glorreiche Halunken“ werden bis heute musikalisch immer wieder referiert oder parodiert (was immer ein gutes Zeichen für Langlebigkeit ist...schließlich kann man nur parodieren, was auch in den Köpfen bleibt!). Weitere nennenswerte Titel wären „Die Mission“, „Es war einmal in Amerika“ und (mein persönlicher Liebling von ihm) „Cinema Paradiso“. Ganze sieben Mal war er für einen Oscar nominiert, gewann aber nur zwei mal, einmal für sein Lebenswerk und dann speziell für Quentin Tarantinis „The Hateful Eight“. Schließlich ist er auch noch ein Mitglied der von Napoleon gegründeten französischen „Ehrenlegion“ und erhielt erst im letzten Jahr die Goldene Pontifikatsmedaille vom Papst. Da sieht man mal was sich in 91 Jahren so alles anstellen lässt.

 

Wie genau Morricone es schafft so viel großartige Musik zu komponieren wird wohl ein Rätsel bleiben...aber zumindest einen kleinen Hinweis gibt es! Morricone bevorzugt es, seine Musik zum Drehbuch zu schreiben. Es ist eher selten, dass er, wie es besonders in Hollywood üblich ist, Partituren zu bestimmten, fertig geschnittenen Szenen komponiert, in denen er dann auf bestimmte Kameraeinstellungen oder Schnitte achtet und diese in die Musik mit einbezieht. Stattdessen schreibt er einzelne Kompositionen, die dem Regisseur dann als Stütze im Schnitt dienen, eine Arbeitsweise die eigentlich gar nicht so sehr meinem Geschmack entspricht, aber ich werde mich sicher nicht mit dem Meister anlegen. Es gibt somit wenig Stücke in Morricones Filmographie, in denen er passend zu seiner Sequenz verschiedene Leitmotive kombiniert oder ähnliches, vielmehr gleicht das Hörerlebnis oft eher einem Konzept-Album, das inspiriert vom Drehbuch produziert wurde. Wie wichtig das musikalische Storytelling für einen ist, muss jeder für sich entscheiden, es lässt sich aber nicht bestreiten, dass die Musik selbst ihres gleichen sucht.

 

DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT (1982)

 

Der Film ist gleichermaßen eine Verfilmung der Kurzgeschichte „Who Goes There?“ von 1938, wie auch ein Remake des Films „The Thing From Another World“ von 1951, ist heute aber die bekanntere und beliebtere der beiden Verfilmungen und einer der einflussreichsten Horrorfilme, der insbesondere mit seinen wundervoll widerlichen Effekten überzeugt, die auch heutigen Zuschauern noch Gänsehaut verschaffen. Dies sollte der erste Film Carpenters werden, bei dem er nicht selbst die Musik beisteuern würde, was er bisher, bei seinen kleineren Projekten aus Zeit- und Kostengründen immer so gehandhabt hatte. Da Carpenter bei seinen eigens komponierten Scores auch nicht zum Bild schrieb, sollte Morricones (von dem Carpenter ein riesiger Fan war, er heiratete sogar zu seiner Musik) Arbeitsweise ja kein Problem darstellen. Dennoch ist der Soundtrack von „The Thing“ ein kleines Chaos. Carpenter, der Morricone zu Beginn der Kollaboration etwas von seiner eigenen, elektronischen Musik vorspielte, quasi als „Schubs in die richtige Richtung“, war mit dem Großteil von Morricones orchestraler Musik nicht zufrieden. Er hielt sie für zu aufdringlich und präferierte unterschwellige synthetische Klänge die die Grenze zum Sounddesign verschwimmen ließen. Eines der ersten Stücke die Morricone aufgenommen hatte (auf dem Varèse Sarabande Album betitelt als „Humanity Part II“) und das es auch tatsächlich in den Film geschafft hat, wurde quasi zum Leitfaden. Dies war genau das was Carpenter sich für den Film gewünscht hatte und so verwendete er das Stück, ganz typisch für ihn, in mehreren Szenen, statt spezifische Variationen der Klangideen anzufordern. „Humanity Part II“ besticht durch seinen pulsierenden Bass, der in seiner Einfachheit schon fast an das berühmte Zwei-Noten-Motiv aus John Williams' „Der Weiße Hai“ erinnert. Vergleicht man den tiefen, beunruhigen, subtilen Klang dieses Stückes mit den sägenden Streicher-Soli in „Beastiality“ wird die Diskrepanz zwischen dem was Carpenter wollte und dem was Morricone letztenendes schrieb sehr deutlich. Man kann jetzt natürlich, ähnlich wie beim Opening zu Ridley Scotts „Alien“ darüber streiten, was nun tatsächlich besser ist. Die einen werden auf Carpenters Seite stehen und ihn für seine Entscheidung, die Musik im Hintergrund zu halten applaudieren, andere wünschen sich, er hätte Morricones orchestraler Brillianz ihre verdiente Bühne gegeben. Was ich viel interessanter finde ist, wie aktuell diese Diskrepanz auch heute noch ist, gewissermaßen ist sie ihrer Zeit sogar voraus. 1982 waren große orchestrale Soundtracks mit tonnenweise Leitmotiven hoch im Kurs. Die originale „Star Wars“-Trilogie war noch gar nicht abgeschlossen, „E.T.“ erblickte im selben Jahr wie „Das Ding“ die Welt, James Horner sollte nur ein Jahr später „Krull“ veröffentlichen und selbst im Horror-Genre war präsente Musik noch sehr beliebt, wie beispielsweise „Gremlins“ oder „Nightmare on Elmstreet“ zwei Jahre später beweisen sollten. Heutzutage hingegen finden sich mit David Fincher oder Christopher Nolan viele Regisseure, die subtilere Musik bevorzugen und vermeiden wollen, dass ein volles Sinfonie-Orchester dem Publikum „vorschreibt was es zu fühlen hat“ wie man so schön sagt, eine Ansicht, die auch viele Nachwuchs-Filmemacher teilen.

 

„The Thing“ hat sogar tatsächlich auch viele Sequenzen in denen gar keine Musik vorkommt, auch wenn welche dafür geschrieben wurde (dies erlaubt aber den Sound-Effekten sich völlig zu entfalten...die Defibrillator-Szene schockiert vielleicht gerade weil es keine Musik gibt so sehr). Es lässt sich jedoch nicht immer klar sagen, für welche Sequenzen Morricone seine Stücke intendierte, da sie fast alle nach seinem gewohnten Konzert-Suite Schema verlaufen um dem Regisseur und seinem Cutter die Möglichkeit zu geben, sie an gewünschte Stellen zu setzen. Leitmotive oder entwickelte Themen finden sich auch bei Morricone eher kaum. Er verließ sich offenbar mehr auf die unbehagliche Stimmung, die durch die gesamten 50 Minuten des Albums herrschen und weckt diese auf verschiedene Arten und Weisen. Neben dem elektronischen Bass aus „Humanity Part II“ (der im fertigen Film dann durch die Wiederholung des Tracks und Carpenters eigenen Musiken schon wieder fast zu einer Art Leitmotiv für die Kreatur wird) gefallen mir besonders die hohen, schleichenden Streicher in „Shape“ (nicht verwendet) und „Solitude“ (untermalt die Ankunft MacReadys an der Forschungsstation). Ich schreibe diesen Text zwar an einem warmen Sommertag, bin aber fast versucht mir meine Wolldecke zu schnappen. Die klirrende Kälte des norwegischen Eises wurde vom Maestro einfach perfekt eingefangen.

 

Die auffallende Menge an Carpenter-Musik ist aber nicht nur auf geteilte Meinungen zwischen Regisseur und Komponist zurück zu führen, sondern war zum Teil auch pragmatischer Natur: „The Thing“ stellte sich als sehr langwierige Produktion heraus und als Morricone seine Partituren mit dem Orchester aufnahm, war der Film bei Weitem nicht fertig. So ergaben sich zum Ende der Produktion noch einige musikalische Lücken, die Carpenter dann eigenhändig füllte.

 

Abschließend lässt sich aber sagen, dass es Carpenter gelungen ist, die Musik von Morricone und ihm selbst gut zu kombinieren. In Titeln wie „Humanity Part II“ imitiert Morricone Carpenters Stil so gut, dass sie mit denen Carpenters problemlos harmonieren. So problemlos, dass es heute auch noch viele Leute gibt, die glauben, dass der Vorpann des Films von Morricone komponiert wurde. Und so gut ein Stück wie „Beastiality“ ist...es beißt sich tatsächlich ein wenig mit dem Rest...und es bekam schließlich ca. 40 Jahre später in „The Hateful Eight“ die Möglichkeit, in einem fertigen Film erlebt zu werden!

 

Wem die aktuelle Welt nicht gruselig genug ist, kann also gerne zum Varèse-Album mit Morricones Musik greifen! Sollte man aber eher an Carpenters Synthesizer-Klängen interessiert sein, so hat der Horror-Altmeister kürzlich angekündigt, dass es eine Deluxe Edition des Soundtracks geben wird, die sowohl Morricones wie auch seine eigene Musik auf Vinyl präsentieren wird! Diese Platten werden voraussichtlich am 5. Mai erscheinen, von einer CD war aber bisher keine Rede.